Interessante Urteile zum Stichwort blind und Behinderung/Behinderte:

BSG: Blinder hat keinen Anspruch auf GPS-Leitsystem

Blindenführhund und Blindenlangstock als Hilfsmittel ausreichend

Ein Blinder hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit einem speziellen Leitsystem (GPS-System). Die vorhandenen Hilfsmittel sind als mittelbarer Behinderungsausgleich ausreichend. Dies hat das Bundessozialgericht.

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist von Geburt an blind. Er ist selbstständig als Klavierstimmer tätig und von dem beigeladenen Rentenversicherungsträger zur Ausübung seiner Tätigkeit zuschussweise mit einem Kfz versorgt worden, welches zunächst von seiner Ehefrau bedient wurde und seit deren Eintritt ins Erwerbsleben von einer durch das Integrationsamt finanzierten Arbeitsassistenz gefahren wird. Von der Beklagten ist er u.a. mit einem Blindenführhund und einem Blindenlangstock versorgt. Ende 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Versorgung mit einem bestimmten "Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte" (GPS-System) und wies darauf hin, dass er seine Ziele im Zusammenspiel von Hund, Stock und GPS-System einfacher und problemloser finden könne. Für seine berufliche Tätigkeit benötige er das Hilfsmittel allerdings nicht. Die Beklagte lehnte die Versorgung ab, weil das GPS System nicht im GKV-Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt und der Kläger zudem schon ausreichend mit Hilfsmitteln versorgt sei. Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.

Hilfsmittel muss im Einzelfall erforderlich sein, um Grundbedürfnis auf Mobilität zu sichern

Das Bundessozialgericht hat in seiner heutigen Entscheidung die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zwar handelt es sich bei diesem GPS-System nach Ausstattung, Funktion und Zweckbestimmung nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, sondern um ein Hilfsmittel iS des § 33 SGB V, sodass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich gegeben ist. Das Hilfsmittel muss jedoch nach dem Gesetz "im Einzelfall erforderlich" sein. Daran fehlt es hier, weil das Grundbedürfnis auf Mobilität im Nahbereich der Wohnung, auf den sich die Leistungspflicht bei einem wie hier - lediglich mittelbaren Behinderungsausgleich beschränkt, durch die vorhandenen Hilfsmittel ausreichend erfüllt ist.

Diese Meldung erschien bei uns am 26.06.2009.

Urteil des LSozG Baden-Württemberg (L 4 KR 548

6/05) | Krankenkasse muss Kosten für Blindenhund übernehmen

Krankenkasse muss Kosten für Blindenhund übernehmen

Landessozialgericht stärkt selbständige Lebensführung Behinderter

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass die gesetzliche Krankenkasse einer blinden Versicherten einen Blindenführhund als Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen hat. Die beklagte Krankenkasse und das Sozialgericht Karlsruhe hatten dies zuvor abgelehnt.

Die nahezu blinde, aus dem Landkreis Karlsruhe stammende Klägerin ist verheiratet und Mutter zweier Kinder im Alter von 15 und 16 Jahren. Im Herbst 2003 hatte sie bei der Krankenkasse einen Blindenführhund als Hilfsmittel beantragt. Die Kosten für den Erwerb und die Ausbildung des Blindenführhundes betragen ca. 20.000,00 €. Die Krankenkasse lehnte dies mit der Begründung ab, es stünden wirtschaftlichere Alternativen zur Verfügung. Sie genehmigte der Klägerin ein so genanntes Mobilitätstraining, mit dem die Versicherte Einsatz und Techniken eines Blindenlangstocks erlernen sollte. Während des Klageverfahrens hatte die Klägerin das ihr von der Krankenkasse angebotene Mobilitätstraining in einer Rehabilitationseinrichtung absolviert. Die Rehabilitationseinrichtung empfahl aber nach Ende des Trainings zur Steigerung der Sicherheit im Straßenverkehr noch die Ausrüstung mit einem Blindenführhund. Gleichwohl bot die Beklagte stattdessen nur ein weiteres Mobilitätstraining an, was die Klägerin nicht mehr in Anspruch nahm. Das Sozialgericht wies die Klage ab, weil die Versorgung mit einem Blindenführhund nur unwesentliche Vorteile bringe. Die Beklagte sei nur verpflichtet, einen Funktionsausgleich bezogen auf den Nahbereich der Wohnung zu gewährleisten. In diesem Nahbereich könne sich die Klägerin auch ohne einen Blindenführhund sicher bewegen.

Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hatte in der Sache Erfolg. Der Senat kam zu dem Ergebnis, dass ein Blindenführhund für einen Blinden ein grundsätzlich geeignetes Hilfsmittel darstellt. Er war auch im speziellen Fall der Klägerin erforderlich. Trotz des Mobilitätstrainings mit dem Blindenlangstock war die Klägerin nämlich noch unsicher und hatte Angst, sich draußen frei zu bewegen. Der Einsatz eines Blindenführhundes war deshalb nach Auffassung des Senats erforderlich, um die Unsicherheit und die Angstzustände zu kompensieren oder wenigstens abzumildern. Die Klägerin kann nach Auffassung des Senats mit einem Blindenführhund auch im unmittelbaren Nahbereich erhebliche Vorteile ziehen. Die Klägerin muss sich nicht darauf verweisen lassen, sich von Dritten, z.B. ihrem Ehemann begleiten zu lassen. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist Behinderten, soweit wie möglich, ein selbstständiges Leben, unabhängig von anderen, zu ermöglichen. Daher war ihr der Blindenführhund auf Kosten der Krankenkasse zuzusprechen.

Diese Meldung erschien bei uns am 15.11.2007.

Urteil des SozG Aachen (S 13 KR 99/06) | Blinde haben Anspruch auf einen Blindenführhund

Blinde haben Anspruch auf einen Blindenführhund

Langstock reicht zur Orientierung nicht aus

Auch Blinde, die sich nach einem Mobilitätstraining mit einem Langstock in vertrauter Umgebung bewegen können, haben gegenüber ihrer Krankenkasse Anspruch auf einen Blindenführhund, wenn sie dessen artgerechte Haltung sicherstellen können. Dies entschied das Sozialgericht Aachen.

Der 51jährige, seit 1993 erblindete Kläger hatte 1999 ein so genanntes Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert und konnte sich danach mit einem Langstock selbständig fortbewegen. Ein elektronisches Blindenleitgerät hatte sich als ungeeignet erwiesen. Sein Augenarzt verordnete einen Blindenführhund (Kosten rd. 19.000 €). Die Krankenkasse (AOK Rheinland) lehnte diese Leistung jedoch ab, da der Kläger mit dem Langstock ausreichend versorgt sei. Der Blindenhund sei nicht zur Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens erforderlich, da der Kläger in der Lage sei, sich mithilfe des Langstocks sicher fortzubewegen.

Dies sah das Gericht anders. Nach Anhörung eines sachverständigen Zeugen kam es zu dem Ergebnis, dass der Langstock in vielen Situationen, z.B. beim Auffinden von Ampelmasten, in widriger Witterung (z.B. Schnee), beim Überqueren großer freier Plätze oder Kreuzungen, in großen Menschenansammlungen, beim Auffinden von Treppen und Aufzügen sowie bei Hindernissen in Kopfhöhe keine ausreichende Sicherheit biete. Das Grundbedürfnis des sicheren Gehens sei demnach in vielen Situationen durch den Blindenlangstock nicht ausreichend erfüllt. Nur die kumulative Versorgung mit Blindenlangstock und Blindenführhund ermögliche blinden Menschen, die sich für einen Hund entscheiden und diesen versorgen können, eine von fremder Begleitung unabhängige Orientierung und Mobilität, insbesondere die gesetzlich geforderte sichere Fortbewegung im Verkehr.

Aus all diesen Gründen müsse die Krankenkasse ihm einen Blindenführhund bereitstellen.

Diese Meldung erschien bei uns am 26.07.2007.

Urteil des LSozG Baden-Württemberg (L 4 KR 5486/05) | Krankenkasse muss Kosten für Blindenhund übernehmen

Krankenkasse muss Kosten für Blindenhund übernehmen

Landessozialgericht stärkt selbständige Lebensführung Behinderter

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass die gesetzliche Krankenkasse einer blinden Versicherten einen Blindenführhund als Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen hat. Die beklagte Krankenkasse und das Sozialgericht Karlsruhe hatten dies zuvor abgelehnt.

Die nahezu blinde, aus dem Landkreis Karlsruhe stammende Klägerin ist verheiratet und Mutter zweier Kinder im Alter von 15 und 16 Jahren. Im Herbst 2003 hatte sie bei der Krankenkasse einen Blindenführhund als Hilfsmittel beantragt. Die Kosten für den Erwerb und die Ausbildung des Blindenführhundes betragen ca. 20.000,00 €. Die Krankenkasse lehnte dies mit der Begründung ab, es stünden wirtschaftlichere Alternativen zur Verfügung. Sie genehmigte der Klägerin ein so genanntes Mobilitätstraining, mit dem die Versicherte Einsatz und Techniken eines Blindenlangstocks erlernen sollte. Während des Klageverfahrens hatte die Klägerin das ihr von der Krankenkasse angebotene Mobilitätstraining in einer Rehabilitationseinrichtung absolviert. Die Rehabilitationseinrichtung empfahl aber nach Ende des Trainings zur Steigerung der Sicherheit im Straßenverkehr noch die Ausrüstung mit einem Blindenführhund. Gleichwohl bot die Beklagte stattdessen nur ein weiteres Mobilitätstraining an, was die Klägerin nicht mehr in Anspruch nahm. Das Sozialgericht wies die Klage ab, weil die Versorgung mit einem Blindenführhund nur unwesentliche Vorteile bringe. Die Beklagte sei nur verpflichtet, einen Funktionsausgleich bezogen auf den Nahbereich der Wohnung zu gewährleisten. In diesem Nahbereich könne sich die Klägerin auch ohne einen Blindenführhund sicher bewegen.

Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hatte in der Sache Erfolg. Der Senat kam zu dem Ergebnis, dass ein Blindenführhund für einen Blinden ein grundsätzlich geeignetes Hilfsmittel darstellt. Er war auch im speziellen Fall der Klägerin erforderlich. Trotz des Mobilitätstrainings mit dem Blindenlangstock war die Klägerin nämlich noch unsicher und hatte Angst, sich draußen frei zu bewegen. Der Einsatz eines Blindenführhundes war deshalb nach Auffassung des Senats erforderlich, um die Unsicherheit und die Angstzustände zu kompensieren oder wenigstens abzumildern. Die Klägerin kann nach Auffassung des Senats mit einem Blindenführhund auch im unmittelbaren Nahbereich erhebliche Vorteile ziehen. Die Klägerin muss sich nicht darauf verweisen lassen, sich von Dritten, z.B. ihrem Ehemann begleiten zu lassen. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist Behinderten, soweit wie möglich, ein selbstständiges Leben, unabhängig von anderen, zu ermöglichen. Daher war ihr der Blindenführhund auf Kosten der Krankenkasse zuzusprechen.

Diese Meldung erschien bei uns am 15.11.2007.

 


Urteil des SozG Düsseldorf (S 2 KA 181/07) | "Off-Label-Use" von Avastin zur Behandlung der feuchten Makuladegeneration zulässig

"Off-Label-Use" von Avastin zur Behandlung der feuchten Makuladegeneration zulässig

Das Sozialgericht Düsseldorf hat die Klage von Novartis gegen einen Vertrag zwischen zwei Verbänden operierender Augenärzte und drei gesetzlichen Krankenkassen, in dem zur Therapie der feuchten Makuladegeneration (AMD) neben Lucentis auch Avastin vorgesehen ist, abgewiesen.

Die altersbedingte AMD ist eine Netzhauterkrankung, bei der nach und nach die Zellen in der Netzhautmitte - der Makula - absterben, so dass die Betroffenen im zentralen Gesichtsfeld zunehmend verschwommen oder verzerrt sehen. Bei jedem fünften Patienten kommt es zusätzlich zum Aussprossen abnormaler, undichter Blutgefäße. Die austretende Flüssigkeit zerstört die Sinneszellen in der Makula, was bis zur Erblindung führen kann. Nach Schätzungen von Experten sind bundesweit über 400.000 Patienten von der "feuchten" AMD betroffen. Für die Behandlung dieser Krankheit steht seit Januar 2007 ein hierfür zugelassenes Medikament Lucentis (Novartis) zur Verfügung, das pro Spritze etwa 1.500,- € kostet. Davon benötigt jeder Patient drei im Abstand von vier Wochen, danach individuell meist weitere. Mit Avastin (Roche) steht mit Kosten von rund 80,- € pro Injektion ein preiswerteres Produkt zur Verfügung. Dieses Arzneimittel ist jedoch lediglich für die Behandlung von Darm- und Brustkrebs zugelassen und kann in der Augenheilkunde nur im sog. "Off-Label-Use", also außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung, eingesetzt werden.

Novartis hat die Klage mit der Begründung erhoben, dass der Vertrag ihr Recht auf Teilhabe am fairen Wettbewerb verletze. Das Gericht ist dem nicht gefolgt und führt in seiner Entscheidung zur Begründung aus, dass der Vertrag rechtmäßig sei, da er die volle Therapiefreiheit der behandelnden Ärzte und damit ihre Entscheidungsfreiheit für Lucentis, Avastin oder ein anderes Produkt gewähre. Dass der Vertrag in wirtschaftlicher Hinsicht das Ziel verfolge, verstärkt Avastin einzusetzen, sei nicht zu beanstanden. Der "Off-Label-Use" sei auch zur Erhaltung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig. Die Wirksamkeit von Avastin bei dieser Behandlung sei weltweit seit 2006 durch über 100.000 Anwendungen erwiesen.

Diese Meldung erschien bei uns am 11.08.2008.

Urteil des SozG Detmold (S 5 KR 207-07) Krankenkasse muss digitale Einkaufshilfe für Blinde bezahlen - gefunden bei kostenlose-urteile.de.htm

Krankenkasse muss digitale Einkaufshilfe für Blinde bezahlen

Die beklagte Krankenkasse hat die Kosten für ein Produkterkennungsgerät (sog. Einkaufsfuchs) zu tragen. Dies entschied das Sozialgericht Detmold auf die Klage eines 37-jährigen Klägers, der im Alter von 15 Jahren erblindete.

Der Einkaufsfuchs besteht aus einem Basisgerät, das am Gürtel oder in der Tasche getragen werden kann, sowie einem transportablen Scanner, wie er in Supermärkten zu finden ist. Er erkennt die Produkte durch Auswertung des Strichcodes, der auf den Verpackungen zu finden ist. Die Datenbank des Gerätes enthält über eine Million verschiedener Artikel. Die Erweiterung der Daten kann durch Austausch der Speicherkarte erfolgen. Technisch ist gleichfalls die Herstellung eigener Strichcodeetiketten möglich, so dass nach entsprechender Kennzeichnung Ordner oder Lernmaterialien schneller aufgefunden werden können.

Das Produkterkennungsgerät ist als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen, weil es ein allgemeines Grundbedürfnis des Menschen befriedigt. Hierzu gehören nämlich nach Auffassung der 5. Kammer nicht nur die Verrichtungen des täglichen Lebens wie das Gehen, Stehen, Hören und Sehen sowie die Nahrungsaufnahme, auch die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums muss von der gesetzlichen Krankenversicherung gefördert werden. In diesen Grundbereich fällt auch die selbstständige Haushaltsführung. Der Argumentation der Beklagten, das Hilfsmittel sei lediglich in unwesentlichen Teilbereichen des täglichen Lebens einsetzbar, folgte das Gericht nicht. Der alleinstehende Kläger profitiert nicht nur beim Einkauf von dem Gerät, sondern auch bei der täglichen Zubereitung der Mahlzeiten. Ebenso wie ein Farberkennungsgerät, das bereits 1996 vom Bundessozialgericht als Hilfsmittel anerkannt worden ist, fördert der Einkaufsfuchs die Unabhängigkeit des Blinden von fremder Hilfe in vielen Lebensbereichen.

Diese Meldung erschien bei uns am 05.01.2009.

Referenz:

Sozialgericht Detmold; Urteil vom 03.12.2008
[Aktenzeichen: S 5 KR 207/07]

Urteil des Bayerisches LSozG (L 15 BL 7/09) | Bayerisches Landessozialgericht korrigiert 25-jährige Verwaltungspraxis zugunsten blinder Menschen

Bayerisches Landessozialgericht korrigiert 25-jährige Verwaltungspraxis zugunsten blinder Menschen

Mehr Geld für im Heim lebende Blinde

Eine 25-jährige Verwaltungspraxis wurde zugunsten blinder Menschen korrigiert. Somit erhalten Blinde, die in einem Heim leben, bereits bei sechstägiger Abwesenheit vom Heim ein ungekürztes monatliches Blindengeld. Dies entschied das Bayerische Landessozialgericht.

Blinde erhalten zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen unter bestimmten Voraussetzungen ein monatliches Blindengeld. Sind Blinde in einem Heim untergebracht reduziert sich das Blindengeld, weil der Heimträger zu einem wesentlichen Teil die Lebenshaltung übernimmt. Sind die Blinden aber vorübergehend nicht im Heim oder einer gleichartigen Einrichtung erhalten Sie das Blindengeld ungekürzt – aber nur wenn die vorübergehende Abwesenheit länger als sechs volle zusammenhängende Tage dauert.

Diese vorübergehenden Abwesenheit von länger als sechs Tagen ist nach dem Urteil des Senats bereits dann erfüllt, wenn die/der Blinde von 00.00 Uhr des ersten Tages bis 24.00 des sechsten Tages von dem Heim abwesend ist – Abreise- und Anreisetag werden nicht mitgezählt. Es ist dann nicht erforderlich, so die Richter, dass eine Abwesenheit von sieben vollen Tagen vorliegt, um den Aufstockungsbetrag im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BayBlindG beanspruchen zu können.

Diese Meldung erschien bei uns am 24.07.2009.

 

 

 

Urteil des VG Frankfurt (Oder) (6 K 584/04) | Gegen offensichtlich grob rechtswidrigen Bescheid kann auch noch nach Jahren vorgegangen werden

Gegen offensichtlich grob rechtswidrigen Bescheid kann auch noch nach Jahren vorgegangen werden

Stadt Frankfurt Oder muss blindem Mädchen 9 Jahre Blindenhilfe nachzahlen - Einstellung der Blindenhilfe war grob rechtswidrig und damit nichtig

Wer versäumt hat, Widerspruch gegen einen Bescheid einzulegen, kann auch nach Jahren vor Gericht geltend machen, dass dieser Bescheid offensichtlich grob rechtswidrig und damit nichtig ist. Dies entschied das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder). Weil die Stadt Frankfurt (Oder) schwerwiegend fehlerhaft die Zahlung von Blindenhilfe eingestellt hatte, muss sie diese nun für 9 Jahre nachzahlen.

Die Klägerin, ein 1990 geborenes blindes Mädchen, benötigt bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe. Sie ist mehrfachbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Anfangs im Haushalt ihrer Eltern lebend, bekam sie Blindenhilfe. Nachdem das Mädchen im Sommer 1993 in eine Wohneinrichtung für schwerst-mehrfachbehinderte Kinder aufgenommen worden war, hob die Behörde ihren Bewilligungsbescheid auf und stellte zum 1. August 1993 die weiteren Zahlungen ein; den Aufhebungsbescheid begründete sie lediglich mit dem Hinweis "Heimaufnahme ab 5.07.1993". Die Eltern legten hiergegen keinen Widerspruch ein, erfuhren aber nach vielen Jahren, dass ihr behindertes Kind trotz Heimunterbringung weiter Anspruch auf Blindenhilfe hat. Als sie Ende August 2002 bei der Behörde vorsprachen, bewilligte diese zwar für die Zukunft erneut Blindenhilfe, lehnte eine Nachzahlung hingegen strikt ab, weil seinerzeit kein Widerspruch eingelegt worden sei.

Gericht: Einstellung der Blindenhilfe war nichtig

Die Klage des Mädchens vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hatte in vollem Umfang Erfolg. Wie das Gericht entschied, war die Einstellung der Blindenhilfe nichtig. Nichtigkeit setzt nicht voraus, so das Gericht, dass jedem der Behördenfehler ohne jede Kenntnis der Rechtslage sofort auffällt; wenn nach einer kurzen Lektüre der einschlägigen Bestimmungen die Rechtsverletzung ohne weiteres klar zutage liegt, genügt dies. Im vorliegenden Fall ergab sich schon aus dem Wortlaut des Bundessozialhilfegesetzes eindeutig und auch für den juristisch nicht geschulten Durchschnittsbürger ersichtlich, dass bei einem Heimaufenthalt Blindenhilfe, wenngleich gekürzt, weiter gezahlt werden muss. Der Bescheid, mit dem die Bewilligung aufgehoben worden war, hatte deshalb keinerlei rechtliche Folgen, so dass die Stadt die Blindenhilfe in vollem Umfang nachzahlen muss.

Diese Meldung erschien bei uns am 15.09.2008.

Urteil des SozG Karlsruhe (S 4 SB 2458/08) | SG Karlsruhe zu den Voraussetzungen für das Merkzeichen BI im Behindertenausweis

SG Karlsruhe zu den Voraussetzungen für das Merkzeichen BI im Behindertenausweis

Sehschärfe darf nicht mehr als 0,02 betragen

Das Merkzeichen "Bl" für "blind" im Sinne des Schwerbehindertenrechts kann nur demjenigen erteilt werden, dem das Augenlicht vollständig fehlt, dessen Sehschärfe auf keinem Auge mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder der an vergleichbar schwerwiegenden Sehbeeinträchtigungen (z.B. vollständiger Gesichtsfeldausfall) leidet. Dies hat das Sozialgericht Karlsruhe entschieden.

Die 68jährige Klägerin leidet an einer chronischer Atemwegserkrankung, Blutzucker, einer arteriellen Verschlusskrankheit beider Beine, Zehenverlust, einer beidseitigen Sehminderung sowie einer seelischen Störung. Nach dem Schwerbehindertenrecht ist bei ihr ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Zudem sind ihr die Merkzeichen G, aG (gehbehindert und außergewöhnlich gehbehindert) und RF (Rundfunkgebührenbefreiung) zuerkannt. Die Klägerin begehrt darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl (Blindheit) festzustellen. Die Behörde hat den Antrag unter Hinweis darauf abgelehnt, die Klägerin sei weder blind noch einem Blinden gleichzustellen.

Selbstständiges Zurechtfinden in unvertrauter Umgebung lässt auf ausreichendes Sehvermögen schließen

Das Sozialgericht hat die von der Klägerin dagegen erhobenen Klage abgewiesen und ausgeführt: Blind im Sinne der Versorgungsmedizin-Verordnung sei ein behinderte Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehle oder dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) betrage oder bei dem Sehbeeinträchtigungen von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung gleichzustellen wären. Die Klägerin selbst habe ein Restsehvermögen eingeräumt. Die vom Gericht veranlasste gutachtliche Untersuchung der Klägerin habe für ein Auge ein Sehvermögen von 0,20 (1/20) ergeben. Außerdem habe der sachverständige Augenarzt ein beiderseitiges Spiralgesichtsfeld ermittelt und damit einen vollständigen Gesichtsfeldausfall ausschließen können. Schließlich habe sich die Klägerin auch in der ihr nicht vertrauten Umgebung des Gerichtssaals ohne fremde Hilfe zurecht gefunden, etwa indem sie die Tür beim Verlassen des Saals selbständig geöffnet habe. Dies alles belege ein Blindheit ausschließendes Restsehvermögen der Klägerin.

Diese Meldung erschien bei uns am 28.07.2009.

Urteil des BSG (B 8/9b SO 10/07 R) | Erstattung von Kosten für Mittagessen in Werkstatt für behinderte Menschen durch überörtlichen Träger der Sozialhilfe

Erstattung von Kosten für Mittagessen in Werkstatt für behinderte Menschen durch überörtlichen Träger der Sozialhilfe

Behinderte Menschen, die im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) teilstationär eingesetzt und bedürftig sind, erhalten vom zuständigen, in der Regel überörtlichen, Sozialhilfeträger Eingliederungshilfe in der Form als Sachleistung, dass durch Verträge mit der Werkstatt für behinderte Menschen die Leistungserbringung sichergestellt ist und die dort anfallenden Kosten übernommen werden.

Integraler Bestandteil der Sachleistung ist auch ein dort anzubietendes Mittagessen, weil es unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der behinderten Menschen zur Sicherung des Maßnahmeerfolgs erforderlich ist. Die Maßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen verfolgt nämlich konzeptionell auch das Ziel, die Persönlichkeit des behinderten Menschen weiterzuentwickeln. Damit ist ein ganzheitlicher Förderungsansatz verbunden, dem die Maßnahme Rechnung zu tragen hat. Lehnt der Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten für ein Mittagessen ab, kann der behinderte Mensch die von ihm gegenüber der Werkstatt für behinderte Menschen übernommenen Kosten insoweit erstattet verlangen, als diese Kosten die im Regelsatz der Hilfe zum Lebensunterhalt enthaltenen Kosten für ein Mittagessen übersteigen.

Das Bundessozialgericht hat den überörtlichen Sozialhilfeträger zur Erstattung dieser Kosten für die im Verfahren streitbefangene Zeit ab 1. März 2005 verurteilt.

§ 53 SGB XII

(1) Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. …

§ 54 SGB XII

(1) Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches …

§ 15 SGB IX

(1) … Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger … eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. …

§ 33 SGB IX

… (7) Zu den Leistungen gehört auch die Übernahme

1. der erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn dies … wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Teilhabe notwendig ist, …

§ 41 SGB IX

(1) Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen erhalten behinderte Menschen, bei denen

1. eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder

2. Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung oder berufliche Ausbildung (§ 33 Abs 3 Nr 2 bis 4) wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. …

§ 136 SGB IX

(1) Die WfbM ist eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Sie hat denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können,

1. …

2. zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

§ 17 Eingliederungshilfe-Verordnung

(1) Zu der Hilfe iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm den §§ 33 und 41 SGB IX … gehören auch … andere Leistungen, wenn sie wegen der Behinderung zur Aufnahme oder Fortsetzung einer angemessenen Beschäftigung im Arbeitsleben erforderlich sind; …

Diese Meldung erschien bei uns am 09.12.2008.

 

Urteil des VG Stuttgart (12 K 5442/04) | Behinderter Sozialhilfeempfänger hat Anspruch auf Kostenübernahme für einen Internetanschluss

Behinderter Sozialhilfeempfänger hat Anspruch auf Kostenübernahme für einen Internetanschluss

Das Internet ist heute ohne Zweifel ein geeignetes Mittel im Sinne der Eingliederungshilfe für dauerhaft Schwerbehinderte, um Beziehungen zur Umwelt herzustellen und zu verbessern sowie am „Leben in der Gemeinschaft“ teilzunehmen. Von dieser gesellschaftlichen Entwicklung dürfen schwer behinderte Sozialhilfeempfänger nicht dauerhaft abgekoppelt werden und haben deshalb einen Anspruch auf Übernahme der - günstigsten - Kosten eines Internetanschlusses nebst monatlicher Nutzungsgebühr für 30 Internetstunden. Dies hat das Verwaltungsgericht Stuttgart entschieden und damit der Klage eines schwer Körperbehinderten gegen den beklagten Landkreis - dem Grunde nach - stattgegeben.

Der Kläger, ein gelernter (arbeitsloser) Einzelhandelskaufmann, hatte im Jahr 2000 einen Autounfall und leidet seither an Lähmungen mit Sturzgefahr, sodass seine Bewegungsfähigkeit deutlich eingeschränkt ist. Er ist derzeit mit einem Grad der Behinderung von 80 % schwer körperlich behindert. In seiner Wohnung kann er sich frei bewegen. Außer Haus benutzt er einen Gehwagen und fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. dem Taxi, wenn es ihm nicht so gut geht. Seit 2003 bezieht der Kläger laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Am 29.12.2003 beantragte der Kläger beim Landkreis als Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft die Erstattung bereits angefallener Internetkosten. Derzeit, so der Kläger, nutze er das Internet insbesondere zu Informationszwecken sowie zum E-Mailverkehr mit seinen Familienangehörigen, die allesamt über Internetanschlüsse verfügten und teilweise in Übersee lebten; mit ihnen könne er nur auf diesem Weg guten Kontakt halten. Oft komme es auch vor, dass er die Wohnung am Tag überhaupt nicht verlasse. Der Landkreis lehnte mit Bescheid vom 18.06.2004 die Übernahme der Internetkosten ab, da als Eingliederungshilfe immer nur der behinderungsbedingte Mehraufwand bewilligbar sei.

Der am 30.12.2004 erhobenen Klage hat die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts stattgegeben:

Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Übernahme der günstigsten Kosten eines Internetanschlusses nebst monatlicher Nutzungsgebühr für 30 Internetstunden zu. Nach den Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes sei Personen, die wie der Kläger nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei, eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehöre vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. In Anbetracht der Tatsache, dass heute nicht nur Behörden und Firmen zunehmend das Internet nutzten, um mit Bürgern bzw. Kunden in Kontakt zu treten, sondern auch immer mehr Privatpersonen über einen Internetzugang verfügten, sei das Internet heute ohne Zweifel ein geeignetes Mittel, um Beziehungen zur Umwelt herzustellen und zu verbessern sowie am „Leben in der Gemeinschaft“ teilzunehmen. Insbesondere der auch kostengünstige E-Mailverkehr ergänze in weiten Kreisen der Bevölkerung die Nutzung von Telefon und Briefpost. Von dieser gesellschaftlichen Entwicklung dürften schwer behinderte Sozialhilfeempfänger nicht dauerhaft abgekoppelt werden. Zudem ermögliche es diesem Personenkreis gerade die Benutzung des Internets, mit Nichtbehinderten in Kontakt zu treten, ohne dass diese von der Behinderung Kenntnis erlangen müssten, was so etwa im persönlichen Kontakt kaum möglich sei. Der Umgang mit dem Internet sei demnach eine wichtige Ergänzung der sonstigen sozialen Kontakte, um die Folgen der Behinderung zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten zumindest „virtuell“ in die Gesellschaft einzugliedern.

Diese Meldung erschien bei uns am 22.03.2006.

Quelle:

www.kostenlose-urteile.de 

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